So wohnt die Schweiz

Zu Hause ist es am schönsten. Idealerweise trifft das zu. Aber was ist zu Hause? Wie wohnen die Schweizerinnen und Schweizer? Und lässt sich das typische traute Heim überhaupt beschreiben? Gerade heute, da vieles im Umbruch ist – auch in Bezug auf Familie und Lebensentwürfe.

In der Schweiz gibt es rund 4,4 Millionen Wohnungen verteilt auf rund 1,7 Millionen Gebäude. Soweit die trockenen Zahlen. Doch hinter diesen steht weit mehr. Die Gebäude und Wohnungen sind ein Zuhause – zum Beispiel für eine Familie, ein älteres Ehepaar, einen Single oder eine Gruppe Studenten. Und ab hier wird’s komplexer: Denn so unterschiedlich die Bewohner sind, so unterschiedlich sind ihre Bedürfnisse an die Räume. Es gibt nicht die Junggesellenbude, die Pärchenwohnung oder das Einfamilienhaus. Wohnen ist individuell – und erst noch privat. Die Frage, wie Herr und Frau Schweizer leben, lässt sich also nicht so leicht beantworten. Wir versuchen trotzdem eine Annäherung.

Die roten Geranien vor dem Fenster sind ein echter Schweizer Klassiker.
Foto: Getty Images

Das Einfamilienhaus ist des Schweizers Traum

Die Schweiz lebt der Statistik zufolge relativ klassisch: Familien machen mit 42 Prozent nach wie vor den grössten Teil der Haushalte aus. Paare ohne Kinder stehen an zweiter Stelle (29,1 Prozent) und Einpersonenhaushalte an dritter (18,5 Prozent). Andere Wohnformen oder sogenannte Nichtfamilienhaushalte mit mehreren Personen – also WGs – kommen selten vor. Wie die Schweiz wohnt, illustrieren wir deshalb an zwei «Musterfamilien». Ein kurzer Steckbrief der Kellers und Pillouds:

Familie Keller
Thomas (45), Martina (43),
Florian (10) und Elisa (7)
5-Zimmer-Wohnung, Miete, Dübendorf

Familie Pilloud
Stéphane (48), Hélène (47),
Fanny (13) und Romain (11)
5-Zimmer-Einfamilienhaus, Eigentum Bassecourt

Familie Pilloud hat sich mit dem Kauf des Einfamilienhauses einen Traum erfüllt. Einen, den gemäss der aktuellen Wohntraumstudie von MoneyPark über ein Viertel der Schweizerinnen und Schweizer träumt. Die Kinder können im Haus rum­toben, ihr Instrument üben und im Garten spielen – alles ganz ungestört. Das Zuhause der Pillouds wurde Ende der 1980er Jahre gebaut, in der Boomzeit der Einfamilienhäuser. Es hat fünf Zimmer und verfügt über 152 Quadratmeter.

Es mag erstaunen, aber mit einem 4-Personen-Haushalt gehören die Pillouds unter den Hausbesitzern zu einer Minderheit. Fast die Hälfte der Einfamilienhäuser wird nämlich nur von einer oder zwei Personen bewohnt. Das hat Folgen. Einfami­lienhausbewohner verbrauchen ziemlich viele Quadratmeter: Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf beträgt zwischen 50 und 59 Quadratmetern pro Person. In Mehrfamilienhäusern liegt sie zwischen 43 und 48 Quadratmetern.

Durchschnittlich beanspruchen Schwei­zerinnen und Schweizer 46 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf. Dies entspricht etwa den Werten anderer Länder mit einem ähnlichen Lebensstandard wie beispielsweise Deutschland, Schweden oder Frankreich. Im europäischen Vergleich liegt die Schweiz leicht und im weltweiten Vergleich deutlich über dem Durchschnitt. Nur in wenigen Ländern wird mehr Wohn­fläche pro Person beansprucht. So etwa in den USA: Sie sind mit 75 Quadratmetern Spitzenreiter.

Fast die Hälfte der Einfamilienhäuser wird nur von einer oder zwei Personen bewohnt.

Grosse regionale Unterschiede

Dass Einfamilienhäuser noch immer des Schweizers Traum sind, zeigt sich auch daran, dass sie den grössten Anteil der Gebäude mit Wohnnutzung ausmachen: 57 Prozent sind es laut Bundesamt für Statistik (BFS) in der ganzen Schweiz. Wirklich gelebt wird der Traum aber von weit weniger Personen. Nur 28 Prozent der Schweizer Bevölkerung wohnen in einem Einfamilienhaus. Dabei zeigen sich grosse regionale Unterschiede: Im Kanton Jura sind rund zwei Drittel aller Wohngebäude Einfamilienhäuser, die von rund der Hälfte der Bevölkerung bewohnt sind. Am anderen Ende steht der Kanton Basel-Stadt: Hier sind 39 Prozent der Wohngebäude Einfamilienhäuser, in denen nur 12 Prozent der Bevölkerung leben.

28
Prozent der Schweizer Bevölkerung wohnen in einem Einfamilienhaus.
2,2
Millionen Mieterhaushalte stehen 1,4 Millionen Eigentumshaus-halten gegenüber.

Eigenheim muss viel Kritik einstecken

Der Trend zu Einfamilienhäusern ist in der Schweiz nach wie vor ungebrochen. Über zwei Drittel aller Wohngebäude, die zwischen 2000 und 2016 gebaut wurden, sind laut BFS Einfamilienhäuser. Sie waren 2018 die begehrteste Immobilie auf dem Markt. Und das, obwohl das Einfamilienhaus viel Kritik einstecken muss: zu hoher Platzverbrauch, zu geringe Ausnutzung des raren Bodens, zu hoher Mobilitätsaufwand. Wie Architekt und Stadtforscher Stefan Kurath in einem Interview mit Swissinfo sagte, bezeichnen etliche Studien das Einfami­lienhaus als die schlechteste Wohnform überhaupt punkto Nachhaltigkeit. Kurath betont darum, dass auch bei Einfamilien­haussiedlungen Strategien zur Verdichtung wichtig sind, um die vorhandenen Infrastrukturen effizienter zu nutzen und die Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr zu ermöglichen.

Die Wohnungen sind grosszügiger geworden und ihre Ausstattungen luxuriöser. Parkett, Waschturm und ein attraktiver Aussenbereich gehören heute oft zum Standard.

Küche wird zur Wellbeing-Zone

Während Familie Pilloud also den Traum vieler Schweizerinnen und Schweizer lebt, entspricht die Wohnform von Thomas und Martina Keller eher der Realität. Die Kellers sind Mieter und damit hierzulande in bester Gesellschaft. Rund 2,2 Millionen Mieterhaushalte stehen 1,4 Millionen Eigentumshaushalten gegenüber. Dies entspricht einer Mietquote von fast 62 Prozent. Die Wohnung der Kellers befindet sich in einem Mehrfamilienhaus, das 2010 gebaut wurde. In einem so modernen Gebäude wohnt nur knapp ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung. Die Hälfte lebt in Häusern, die zwischen 1961 und dem Jahr 2000 erbaut wurden, ein Drittel in Gebäuden, die noch älter sind.

Dass sich die Kellers für einen modernen Bau entschieden haben, hat zwei Gründe: Grundriss und Ausstattung. Beides hat sich über die Jahre verändert. Die Wohnungen sind grosszügiger geworden und ihre Ausstattung durch Parkett, Waschtürme und Balkone luxuriöser. Räume, die früher vernachlässigt wurden, haben an Wichtigkeit gewonnen. So etwa die Küche. Sie hat sich zum Zentrum vieler Neubauwohnungen entwickelt, wie Andrea Mandia sagt. Er ist Artdirector beim Einrichtungs- und Innenarchitekturspezialisten Teo Jakob . «Wir stellen fest, dass die Küche immer mehr zu einer Wellbeing-Zone wird.» Eine abgetrennte, geschlossene, eher kleine Küche ist nicht mehr gefragt, vielmehr soll sie offen und vorzeigbar sein. Eine ähnliche Entwicklung gibt es gemäss Andrea Mandia auch beim Bad, das heute oft eher privater Spa als Nasszelle ist. Neuere Wohnungen verfügen zudem oft über zwei komplette Badezimmer. Diese Vorzüge geniessen die Kellers. Dank den zwei Bädern kommen morgens alle problemlos aneinander vorbei.

Die Küche hat sich zum Zentrum vieler Neubauwohnungen entwickelt.

Alles hat seinen Preis

Mit ihrer 130 Quadratmeter grossen 5-Zimmer-Wohnung lebt die Familie zwar auf grösserem Fuss als der Schweizer Durchschnitt (am häufigsten sind 3- und 4-Zimmer-Wohnungen). Für Familien ist diese Grösse aber typisch. Gemäss BFS wächst die Hälfte der Kinder in Wohnungen mit fünf oder mehr Zimmern auf. Dass Florian und Elisa zudem ihr eigenes Reich haben, ist hierzulande schon fast eine Selbstverständlichkeit. 80 Prozent der Kinder geniessen das Privileg eines eigenen Zimmers.

All diese Vorzüge haben auch ihren Preis. Eine 5-Zimmer-Wohnung kostet im Kanton Zürich im Schnitt 2169 Franken, wie der Hauseigentümerverband angibt. Bewohner eines Neubaus wie die Kellers legen in der Regel noch ein paar hundert Franken drauf. Der Kanton Zürich zählt zusammen mit den Kantonen Zug und Schwyz zu den teuersten Pflastern in der Schweiz. Die Durchschnittsmiete beträgt in der Schweiz 1322 Franken – gerechnet über alle Wohnungsgrössen und Kantone. Ein Durchschnittshaushalt (bestehend aus 2,2 Personen mit einem Monatseinkommen von 10'000 Franken) gibt 14,7 Prozent des Einkommens für Miete und Energie aus.

 

80
Prozent der Kinder geniessen das Privileg eines eigenen Zimmers.
42
Familien machen mit 42 Prozent den grössten Teil der Haushalte aus.

Die einen gehen, die anderen bleiben

Für ihren Wohnort haben sich sowohl Familie Pilloud als auch Familie Keller bewusst entschieden. Beide schätzen die Nähe zu einer Stadt. So können sie pro­blemlos zur Arbeit pendeln, ins Kino gehen, auswärts essen oder durch die Geschäfte bummeln. Gleichzeitig geniessen sie es, in wenigen Minuten im Grünen zu sein. Der Fünfer und das Weggli sozusagen. Damit geht es ihnen wie der Mehrheit der Schweizer Bevölkerung (85 Prozent). Diese lebt zwar im städtischen Kernraum und dessen Einflussgebiet. In eigentlichen Stadtzentren leben aber die wenigsten.

Familien bleiben ihrem Zuhause viele Jahre treu. Dennoch ist die Lust nach räumlicher Veränderung gestiegen. Gemäss dem Umzugsreport des Immobilienportals Homegate sind zwischen August 2016 und Juli 2017 knapp 400'000 Haushalte innerhalb der Schweiz umgezogen – 6 Prozent mehr als 2014. Familien sind aber sesshafter als Haushalte ohne Kinder, und am meisten wird in Städten gezügelt.

Die Zügelkisten packen werden dereinst eher die Kellers. Dann nämlich, wenn die Kinder flügge sind. Die Pillouds bleiben in ihrem Haus. Wie die Statistik zeigt, ziehen Eigentümer nämlich eher seltener aus als Mieter – auch bei grossen Veränderungen in den Familien. Das erklärt, warum der Grossteil der Einfamilienhäuser von nur einer oder zwei Personen bewohnt wird.

Dass Paare selbst nach dem Auszug der Kinder häufig nicht umziehen, hat aber auch einen anderen Grund – einen emo­tionalen. Denn die Wohnung oder das Haus ist eben zu einem Zuhause geworden. Einem Ort der Erinnerung, einem Ort, an dem man sich wohlfühlt. Und genau darum ist es eben da am schönsten.

Der durchschnittliche Schweizer ist Mieter und wohnt in einem Haushalt mit 2,2 Personen.

Stimmungsvoll soll es sein

Die Wohnung oder das Haus gibt dem Zuhause den Rahmen. Wohnlich wird es erst durch die Einrichtung. Sie sorgt für Ambiance und verleiht dem Heim eine persönliche Note. Die Schweizer legen Wert auf ihre Einrichtung und mögen es in den eigenen vier Wänden elegant und geschmackvoll.

Andrea Mandia, Sie sind Artdirector bei Teo Jakob, einem Spezialgeschäft für Einrichtung und Innenarchitektur. Wie sehen die aktuellen Einrichtungstrends aus?

Beliebt sind derzeit atmosphärische, stimmungsvolle Einrichtungen. Es geht derzeit vor allem um die Themen Wellness und Wellbeing.

In welche Zimmer investieren die Schweizer am liebsten Geld?

An erster Stelle steht das Wohnzimmer, gefolgt vom Esszimmer und der Küche.

Die Wohnungseinrichtung widerspiegelt den persönlichen Geschmack. Der kann sich ändern. Wie oft richten sich denn die Schweizer neu ein?

Grössere Veränderungen gibt es etwa sechsmal:

  • Phase 1: das WG-Zimmer
  • Phase 2: die erste Singlewohnung
  • Phase 3: die erste Paarwohnung, die teilweise zur
    Familienwohnung wird
  • Phase 4: die zweite Singlewohnung, wenn sich
    Paare trennen
  • Phase 5: die zweite Paarwohnung, wenn die
    Kinder ausziehen und sich die Eltern verkleinern

Natürlich gibt es individuelle Unterschiede. Beispielsweise gibt es viele, die direkt vom Kinderzimmer zu Phase 3 springen. Wirft man einen Blick in die Stuben, Ess- und Schlafzimmer der Schweizer, trifft man dort genauso teure Designklassiker wie preiswerte Stücke – nicht selten direkt nebeneinander. Wer ein grösseres Budget zur Verfügung hat, bei dem sind laut Andrea Mandia das USM-Möbelbausystem, Eames Fiberglass Chairs oder Corbusier-Sessel beliebt.

Verkaufsklassiker

Zu den Verkaufsklassikern von Ikea zählen funktionale Möbel wie das Regalsystem Billy oder die Pax-Schränke. Aber auch die Designlinie PS ist beliebt. «Ikea richtet sich an alle, die mit Änderungen ihrer Lebens­situation konfrontiert sind», sagt Mediensprecher Aurel Hosennen. Und das sind gemäss den Zahlen des schwedischen Möbelhauses einige. 2018 verzeichnete Ikea Schweiz einen Umsatz von 1,1 Milliarden Franken.

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