«Als Mann im Hintergrund zu bleiben, war für mich kein Problem»

Während 28 Jahren hat Martin C. Mächler in verschiedenen Ländern der Welt gelebt. Der Schriftsteller, Kolumnist und Komiker hat seine Frau während ihrer Laufbahn als Mitarbeiterin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten begleitet. Trotz ungezählter schöner Erlebnisse sagt er wenige Monate nach der Heimkehr in die Schweiz: «Ich will nie mehr im Ausland leben.»

Sie sind 1991 erstmals ins Ausland gezogen, nach Wien. Wie kam es dazu?

Meine Frau und ich waren damals jung, und wir hatten beide den Wunsch, für längere Zeit ins Ausland zu gehen. Wir überlegten, nach Australien auszuwandern, hatten dafür aber zu wenig finanzielle Mittel. Da stiessen wir auf ein Inserat des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), das Mitarbeitende für den Sekretariatsdienst suchte. Meine Frau bewarb sich, erhielt die Stelle, und so zogen wir einige Monate später nach Wien.

Das war noch kein Kulturschock, oder?

Im Vergleich zu Äthiopien, wo wir später waren, sicher nicht. Aber die Kultur ist doch nicht wie in der Schweiz. Ich erinnere mich an ein Plakat auf der Fahrt in die Stadt, auf dem stand: «Wien ist anders.» Das stimmt wirklich. Aber klar: Man spricht Deutsch (schmunzelt).

Wo haben Sie später gelebt?

Nach Wien gingen wir nach San Francisco. Dann folgten Addis Abeba, Mailand – wo meine Frau in den konsularischen Dienst wechselte –, Sofia, Moskau, Berlin und Seoul.

Sie haben Ihre Partnerin begleitet. Konnten Sie in den verschiedenen Ländern ebenfalls Arbeit finden?

Wegen der Arbeit meiner Frau waren die Möglichkeiten eingeschränkt. Manchmal übernahm ich gewisse Aufgaben für die Botschaften bzw. die Konsulate, und natürlich unterstützte ich meine Frau. Hauptsächlich war ich aber als Schriftsteller tätig, zudem habe ich viel Freiwilligenarbeit geleistet. Dieses Leben ist für Paare immer wieder ein Prüfstein; wir haben viele Beziehungen zerbrechen sehen. Ich sage immer: Entweder es funktioniert oder nicht! Bei uns funktioniert es seit 33 Jahren. Als Mann im Hintergrund zu bleiben, bereitete mir aufgrund meiner vielfältigen Projekte und Engagements keine Probleme.

«Mir fiel es nicht schwer, als Mann im Hintergrund zu stehen.»

Erzählen Sie von Ihrer schriftstellerischen Arbeit.

Ich schreibe Kriminalromane. Mein erstes Buch habe ich veröffentlicht, als wir in Sofia waren. Ich hatte das Glück, einen Germanistikprofessor kennenzulernen. Er war Kulturattaché in der Schweiz für Bulgarien und Germanistikprofessor in Sofia. Er hat mich beraten. In der Zwischenzeit habe ich fünf Bücher veröffentlicht, unter anderem den weltweit ersten Duftkrimi, den ich zusammen mit Roger Ryner entwickelt habe. In diesem Kriminalroman kann man anhand der Düfte den Täter ermitteln. Von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung brauchten Roger Ryner und ich etwa drei Jahre. Wir haben stundenlang nach passenden Düften gesucht, die sich auch unterscheiden lassen. Es war viel Arbeit, aber es hat auch viel Spass gemacht!

«Ich habe fünf Bücher veröffentlicht, unter anderem den ersten Duftkrimi der Welt.»

Sie haben vorhin die Städte aufgezählt, in denen Sie und Ihre Frau gelebt haben. Nicht alles sind Feriendestinationen erster Güte … Gab es schwierige Erfahrungen?

Addis Abeba war knallhart. Kurz nach unserer Ankunft brach der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea aus. Der Krieg spielte sich zwar hauptsächlich im Grenzgebiet ab. Aber wir mussten stets abreisebereit sein und waren praktisch in der Stadt eingeschlossen. Aus Sicherheitsgründen durfte man kaum reisen und sich auch nicht über weitere Strecken zu Fuss in der Stadt bewegen. In der Freizeit konnte man praktisch nur Freunde einladen oder Freunde besuchen. Das war auf Dauer sehr hart. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, kann man sich das Leben in einem Kriegs- oder Krisengebiet kaum vorstellen.

«Das Damoklesschwert der Bedrohung hing über uns.»

Auch in Moskau fühlten wir uns zum Teil nicht sicher. Dreimal gab es Bombenanschläge an Orten, in deren unmittelbarer Nähe sich meine Frau oder ich mich kurz zuvor oder danach aufgehalten haben. Das Damoklesschwert dieser Bedrohung hing über uns.

Wo hat es Ihnen am besten gefallen?

Das kann ich so nicht sagen – jedes Land hatte seinen tollen Seiten – sogar Äthiopien. Zum Beispiel finden meine Frau und ich die äthiopische Küche ausgezeichnet. Und von den wenigen Ausflügen her, die wir damals machen konnten, kann ich sagen, dass die Landschaft wunderschön ist. In Südkorea hat mir die Insel Jejudo besonders gefallen. Auf dieser Insel ist die Gesellschaft matriarchalisch geprägt, das spürt man. Der Grund dafür sind Frauen, die nach Meeresfrüchten tauchen und sich dadurch Freiheiten und wirtschaftlichen Einfluss erwerben konnten. Es war unglaublich zu sehen, wie 60- bis 70-jährige Frauen mehrere Minuten unter Wasser bleiben konnten.

«Ich wurde zweimal äthiopischer Meister im Bowling.»

Sie haben sich an verschiedenen Orten freiwillig betätigt – welcher Art waren denn diese Engagements?

In San Francisco habe ich zum Beispiel für das Marine Mammal Center in Sausalito, dem weltweit grössten Spital für Meeressäugetiere, als Fahrer eines Rettungsteams gearbeitet. Das war eine spannende Aufgabe! In Addis Abeba trainierte ich Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren im Bowling. Mit dem Bowlen hatte ich in San Francisco angefangen und war so gut geworden, dass ich national spielen konnte. Als ich sah, dass man in Äthiopien ebenfalls Bowling spielte, aber niemand die Jungen ausbildete, sagte ich mir: Das mach ich! Zweimal wöchentlich trainierte ich die Jungen kostenlos. Es gab eine offene Meisterschaft, bei der alle mitmachen durften. Ich wurde selbst zweimal äthiopischer Meister im Bowling und qualifizierte mich für die Weltmeisterschaft in Las Vegas. Ich ging aber nicht hin, weil es sehr teuer gewesen wäre und ich die Qualifikation nur knapp geschafft hatte.

Gibt es Momente, die Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?

Ja, da gibt es einige. Ich bin immer wieder hochinteressanten Menschen begegnet. An Anlässen der Schweizer Vertretungen hatte ich Gelegenheit, spannende Persönlichkeiten kennenzulernen. Die eindrücklichste Begegnung hatte ich aber in einer Bowlinghalle in San Francisco, wo ich regelmässig trainierte. Eines Tages spielte auf der Bahn neben mir ein Mann, der mir sehr bekannt vorkam. Ich dachte: Das kann er nicht sein … Er trug Jeans und ein Flanellhemd – nichts Aussergewöhnliches. Nachdem mir mehrere Strikes gelungen waren, kam er auf mich zu und stellte sich vor: «Hi, I’m Clint.» Es war tatsächlich Clint Eastwood! Er bat mich um Tipps, und so konnte ich einen ganzen Nachmittag mit ihm verbringen. Wir spielten, tranken ein Bier zusammen, redeten. Wir sprachen nicht über seine Filme, obwohl ich ein Fan von ihm bin. Wir redeten einfach wie ganz normale Menschen. Das war ein ganz besonderes Erlebnis.

«Clint Eastwood kam zu mir und bat mich um Bowlingtipps.»

Welche Bedeutung hatte das Zuhause für Sie während Ihres Nomadenlebens?

In unserem Wohnzimmer hatten wir stets drei grosse Kristalle aus dem Gotthardgebiet und mehrere Stiche mit Schweizer Motiven. Wenn man in unser Wohnzimmer kam, war man in der Schweiz. Das haben wir gebraucht. Wir haben keine afrikanischen oder asiatischen Möbel gekauft und auch keine russischen Ikonen. Das einzige ausländische Mobiliar aus der ganzen Auslandszeit sind zwei äthiopische Clubtische. Was aber immer dabei sein musste, war der Zyliss-Zwiebelhacker – es gibt keinen besseren (schmunzelt). Auch Aromat und das Fleischgewürz der Migros durften nie fehlen. Wenn Besucher fragten, ob sie Schokolade mitbringen sollten, antworteten wir immer: «Nein, bringt Aromat oder Bündnerfleisch.»

«Bringt Aromat oder Bündnerfleisch.»

Dieses Jahr sind Sie nach 28 Jahren in die Schweiz zurückgekehrt. Wie haben Sie dies erlebt?

Meine Frau wurde im Mai 2019 nach Bern versetzt; ich kam schon etwas früher zurück, um gewisse Dinge zu organisieren. Es war eine Erleichterung, wieder in der Schweiz zu sein. Aber wir mussten feststellen, dass es nach 28 Jahren auch nicht so einfach ist. Man muss gewisse Dinge wieder lernen – zum Beispiel im Umgang mit den Ämtern. Aber auch im Dialog mit den Menschen. Im Ausland mussten wir oft sehr vorsichtig sein. Hier müssen wir wieder lernen, den Menschen zu vertrauen. Aus Erfahrung wissen wir, dass es etwa ein Jahr dauert, bis man angekommen ist.

«In der Schweiz müssen wir wieder lernen, den Menschen zu vertrauen.»

In San Francisco war er als Fahrer des Marine Mammal Center tätig und besichtigte viele interessante Orte.
Foto: Martin C. Mächler

Werden Sie nun wieder sesshaft in der Schweiz?

Meine Frau und ich sind beide im Glarnerland aufgewachsen. Wir haben unheimlich schöne Orte auf der Welt gesehen. Aber es war für uns immer klar, dass wir wieder in die Schweiz zurückkommen und hier sesshaft werden möchten. Seit 2008 haben wir in Glarus eine Ferienwohnung. Es war uns immer sehr wichtig, einen Rückzugsort zu haben, an dem wir uns wohlfühlen und der es uns erlaubt, die sozialen Beziehungen in der Schweiz aufrechtzuerhalten. Ich habe mein soziales Leben stets gepflegt; tatsächlich bin ich hier in Glarus bekannt wie ein bunter Hund (lacht).

 

Vielleicht verleidet Ihnen das sesshafte Leben in der Schweiz schon bald wieder?

Ich habe mir geschworen, dass ich mein Leben lang nicht mehr in ein Flugzeug sitzen werde (schmunzelt). Es gibt so viel in der Schweiz und im nahen Ausland, das wir noch nicht gesehen haben. Das müssen wir jetzt nachholen. Vielleicht packt uns das Reisefieber wieder, aber im Ausland leben möchte ich nicht mehr.

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